Unser Verein besitzt zwei grosse Harmonien, die beide im Besitz von Albert Alain gewesen sind.

Das Dumont-Lelièvre Harmonium, «ein vergiftetes Geschenk» (Marie-Claire Alain)

Im Juni 2000 schrieb uns Marie-Claire Alain, dass sie, falls wir es aufnehmen würden, ein neues Geschenk für uns hätte.
Es handelte sich ursprünglich um ein Harmonium von 2 Manualen und 6 ½ Register, genannt « orgue médiophone No 4, modèle G », der Marke Dumont-Lelièvre, 1898 von Albert Alain in der « Manufacture d'orgues des Andelys » gekauft, um sich ein Übungsinstrument zu verschaffen. Gleichzeitig wie das Instrument bestellte Albert Alain eine zusätzliche transponierbare Tastatur mit 5 Oktaven aus Elfenbein.

Das « médiophone » ist ein Harmonium, dessen Klang durch hölzerne, im oberen Gehäuseteil eingebaute Resonanzpfeifen verstärkt wird. Diese Pfeifen befinden sich heute noch im Instrument, welches in Romainmôtier steht.
Albert Alain vergrösserte das Instrument gleich nach der Lieferung und fügte ihm eine Pedalklaviatur bei. Die dazugekaufte Tastatur wurde ebenfalls hinzugebaut und diente als Koppelmanual, welches die beiden Originalmanuale vereinte.
Unter dieser veränderten Form ist das Harmonium auf dem berühmten Foto des jungen Albert Alains zu sehen, welcher die Toccata in h-moll von Eugène Gigout spielt. Die Qualität des Bildes erlaubt ein einwandfreies Lesen der auf dem Notenpult geöffneten Partitur.

 

Ein Rätselfoto

Jedoch besass das Instrument bei der Ankunft in der Schweiz nur noch ein einziges Manual. In der Familie gingen mehrere widersprüchliche Legenden herum, welche sich noch mit der Geschichte eines andern, 1897 gekauften Harmoniums vermischten, dessen Gehäuse später als Brennholzspeicher umgebaut worden war.
Genaue Beobachtungen des Bildes und des Instruments durch Marisa Bovet erlaubten aber ohne Zweifel festzustellen, dass das « vergiftete Geschenk » tatsächlich dasjenige ist, welches man auf dem Bilde sieht.
Was hatte sich ereignet ?
Als er mit dem Bau seiner Orgel begann, verwendete der unaufhaltbare Bastler Albert Alain die drei Manuale sowie das Pedal des veränderten Harmoniums für den Orgelspieltisch (Manuale II, III und IV), und liess noch eine neue, vierte Tastatur fürs erste Manual bauen. Danach versah er das tastenlose Harmonium mit einem andern Manual, dessen Herkunft unklar bleibt, damit es spielbar war, und schloss alle Register an dieses an.
In diesem Zustand, der bis in unsere Tage weiterdauerte, wurde das Harmonium in Saint-Germain, in der Kapelle des « Prieuré » des Malers Maurice Denis (gestorben 1943), ein enger Freund von Albert, aufgestellt. Eine der Töchter von Maurice Denis, Bernadette, war Schülerin von Albert Alain und spielte das Instrument in den Gottesdiensten, die da zelebriert wurden.
Nach dem Tode von Maurice Denis wurde das Haus in ein Museum verwandelt und das Harmonium wurde in der Reserve aufbewahrt, von wo es im Jahre 2000 nach Romainmôtier transportiert wurde.

Das jetzige Instrument

Welches Instrument befindet sich nun genau im Gehäuse des « médiophone » von Dumont-Lelièvre ?
Zwei Expertisen von Joris Verdin im Juli 2002, dann von Marc Fitze im Winter 2003/2004, geben gute Antwortshypothesen. Einige Zweifel bestehen noch, welche wahrscheinlich nie ganz geklärt sein werden.

Das jetzige Manual (transponierbar, von Pariser Herstellung aber nicht von Dumont-Lelièvre), vereinigt folgende, wahrscheinlich originale Register (von links nach rechts) :

Linke Hand : Forte / Cor de nuit 8 / Contrebasse 16 / Baryton 8 / Clairon 4 / Sourdine 8 / Bourdon 16 / Cor anglais 8
Mitte : Expression
Rechte Hand (Manualteilung zwischen e' und f') : Flûte 8 / Clarinette 16 / Voix céleste 8 / Saxophone 32 / Fifre 4 / Flûte suisse 8 / Hautbois 16 / Harpe éolienne 16 / Forte

Diese Tastatur drückt mittels Stecher auf Wippen, die bastelartig verlängert wurden, mit noch gut sichtbaren Versuchen und Schwierigkeiten. Die daraus entstehende Spielmechanik ist ungeschickt, weil die Wippen zu sehr verlängert wurden.
Die Lade musste an beiden Enden verändert werden, um zur (nicht originalen) Windversorgung zu passen. Es kann sein, dass diese Lade eine der beiden originalen wäre, jedoch nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz. Ungeschickt gebohrte, dann zugestopfte Löcher bezeugen missglückte Versuche, den Tonumfang zu vergrössern.

Zwei Reparaturen (Jean-Louis Loriaut, Marc Fitze) haben trotzdem das Instrument mehr oder weniger spielbar gemacht.

Die währen dieser Arbeiten gemachten Feststellungen erklären aber seine Mängel. Das Möbel hat seine ursprüngliche Festigkeit verloren : ein einfaches Verschieben kann Durchstecher und Heuler verursachen. Die Befestigung von vitalen Teilen am Möbel mittels durch Albert Alain verwendete Metallwinkel ist derartig delikat, dass die geringste Verrenkung Undichtheiten in der Lade erzeugen kann.
Verwendet man aber das Instrument mit Sorgfalt, kann es noch grossartige Klänge hervorbringen.

Jedenfalls bereichert dieses Instrument die Alain-Sammlung in Romainmôtier in unschätzbarer Weise, sowohl vom musikalischen und historischen als auch sentimentalen Standpunkt. Die Präsenz des Harmoniums von Albert Alain neben der Orgel, der es mehrere wichtige Elemente gegeben hat, ist symbolisch sehr sinnvoll.

 

Das Victor Mustel-Harmonium

Das Instrument wurde im Oktober 1896 von Frl. Auffant gekauft, einer Nachbarin der Alain-Familie in der Rue de Pologne in Saint-Germain-en-Laye. Man pflegte zusammen zu musizieren: es gibt ein kurzes Stück für Klavier und Harmonium des jungen Jehan Alain mit dem Vermerk «um es bei Frl. Auffant zu spielen».

Sie starb am 6. Mai 1929 und vermachte Albert Alain das Instrument. Es wurde dann von Marie-Claire und zuletzt von ihrer Tochter Aurélie Decourt geerbt.

Marie-Claire liess das Harmonium 1996 von Nicolas Toussaint restaurieren. Es ist ein grossartiges, zweimanualiges Instrument mit einem Celesta (eine Erfindung der Firma Mustel), das Gehäuse aus Palissander wurde speziell von Auguste Schindeler gezeichnet, ein sehr berühmter Spezialist und Freund der Familie Mustel.
Das Instrument wurde im Juli 2023 nach Romainmôtier gebracht.